Am 07.10.2011 legte der baden-württembergische Umweltminister Untersteller (Grüne) ein Eckpunktepapier „Endlagerung streitfrei stellen“ für einen Konsens in der Endlagersuche für hoch radioaktive Abfälle vor. [1]
Die anschließenden Beratungen über ein Standortauswahlgesetz (StandAG) fanden vom 11.11.2011 bis 03.04.2013 im Rahmen einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe statt. Nach dem Wahlsieg von Rot-Grün in Niedersachsen am 20.01.2013 wurde auf Initiative der Landesregierung eine „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ in das StandAG aufgenommen. Diese Kommission wurde dem Standortauswahlverfahren vorgeschaltet.
Das StandAG wurde am 23.07.2013 verabschiedet, doch die Kommission erst in der 18. Wahlperiode, am 10.04.2014 eingesetzt. Insbesondere die Beteiligung der Umweltverbände und der Anti-AKW-Bewegung wurde strittig diskutiert und von den meisten Verbänden und Initiativen abgelehnt.
22.05.2014
Die Kommission sollte Vorschläge erarbeiten
1. zur Beurteilung und Entscheidung der Frage, ob anstelle einer unverzüglichen Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen Formationen andere Möglichkeiten für eine geordnete Entsorgung dieser Abfälle wissenschaftlich untersucht und bis zum Abschluss der Untersuchungen die Abfälle in oberirdischen Zwischenlagern aufbewahrt werden sollen,
2. für die Entscheidungsgrundlagen (allgemeine Sicherheitsanforderungen an die Lagerung, geowissenschaftliche, wasserwirtschaftliche und raumplanerische Ausschlusskriterien und Mindestanforderungen im Hinblick auf die Eignung geologischer Formationen für die Endlagerung sowie wirtsgesteinsspezifische Ausschluss- und Auswahlkriterien für die möglichen Wirtsgesteine Salz, Ton und Kristallin sowie wirtsgesteinsunabhängige Abwägungskriterien und die Methodik für die durchzuführenden vorläufigen Sicherheitsuntersuchungen),
3. für Kriterien einer möglichen Fehlerkorrektur (Anforderungen an die Konzeption der Lagerung insbesondere zu den Fragen der Rückholung, Bergung, und Wiederauffindbarkeit der radioaktiven Abfälle sowie der Frage von Rücksprüngen im Standortauswahlverfahren),
4. für Anforderungen an die Organisation und das Verfahren des Auswahlprozesses und für die Prüfung von Alternativen,
5. für Anforderungen an die Beteiligung und Information der Öffentlichkeit
sowie zur Sicherstellung der Transparenz sowie gesellschaftspolitische und technisch-wissenschaftliche Fragen erörtern und dabei Empfehlungen zum Umgang mit bisher getroffenen Entscheidungen und Festlegungen in der Endlagerfrage aussprechen und internationale Erfahrungen und daraus folgernde Empfehlungen für ein Lagerkonzept analysieren. [2]
Deutscher Bundestag
Vorsitzende
Mitglieder: Wissenschaft
Umweltverbände
Andere Umweltverbände sowie Bürgerinitiativen lehnten die Teilnahme an der Kommission ab (siehe Kritik).
Religionsgemeinschaften
Wirtschaft
Gewerkschaften
Deutscher Bundestag
Landesregierungen
Die Kommission war eine Sonder-Konstruktion. Sie war beim Deutschen Bundestag angesiedelt, aber weder ein Ausschuss, eine Enquete-Kommission oder ein Fraktionsgremium. Die Geschäftsstelle der Kommission wurde ebenfalls vom Bundestag eingerichtet.
Laut Standortauswahlgesetz waren in der Kommission nur die VertreterInnen der Wissenschaft und der gesellschaftlichen Gruppen stimmberechtigt. In einem gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD und GRÜNEN bekräftigen die Fraktionen diese Besonderheit: „Bewusst haben sich Bundestag und Bundesrat dafür entschieden, Vertreter der Wissenschaft, der Umweltverbände, der Religionsgemeinschaften, der Wirtschaft sowie der Gewerkschaften in dieser Kommission mit Stimmrecht auszustatten, während die Mitglieder aus Bundestag und Bundesrat ohne Stimmrecht an der Kommission teilnehmen.“ [24] Dem völlig widersprechend haben sich zwei Monate später die Bundestagsabgeordneten und Landesregierungsvertreter ein Stimmrecht in die Geschäftsordnung der Kommission hineingestimmt. Dort heißt es in §7 Abs. 2: „Stimmberechtigt sind bei der Beschlussfassung über den Bericht, Teile des Berichts sowie die Verlängerung der Berichtsfrist die Vertreter der Wissenschaft und der gesellschaftlichen Gruppen; über alle weiteren Fragen entscheidet die Kommission.“ [25]
Die Kommissionssitzungen waren öffentlich und wurden im Internet übertragen.
Die Kommission hatte 5 Arbeitsgruppen gebildet:
Am 05.07.2016 präsentierte die Kommission ihren Abschlussbericht "Verantwortung für die Zukunft - Ein faires und transparentes Verfahren für die Auswahl eines nationalen Endlagerstandortes" [26]
Die Kommission hatte von den Regelungen des Standortauswahlgesetzes Gebrauch gemacht, die Frist für die Abgabe des Kommissionsberichtes vom 31.12.2015 auf den 30.06.2016 zu verlängern. Trotzdem kam sie in erhebliche Zeitnot. Um dem Zeitlimit und zumindest formal der vorgeschriebenen Beteiligung der Öffentlichkeit gerecht zu werden, präsentierte die Kommission Teile des Berichtes am 29./30.04.2016 einer vor allem Fach-Öffentlichkeit. [27]
Von den 16 stimmberechtigten Kommissionsmitgliedern lehnte Klaus Brunsmeier vom BUND den Bericht ab. (über den Abschlussbericht durften die PolitikerInnen von Bundestag und den Ländern nicht abstimmen) Sondervoten zum Bericht gibt es von Klaus Brunsmeier (BUND), Gemeinsames Votum von Dr. h.c. Bernhard Fischer und Prof. Dr. Gerd Jäger (Energiewirtschaft), Prof. Dr.-Ing. Wolfram Kudla (TU Freiberg), Staatsministerin Ulrike Scharf (Bayern), Staatsminister Thomas Schmidt (Sachsen) und Hubertus Zdebel (DIE LINKE). [26]
Am 23.06.2016 beschloss der Deutsche Bundestag auf Empfehlung der Kommission die Einsetzung eines Nationalen Begleitgremiums [28] und eine Umstrukturierung im Endlagerbereich. [29]
Das Nationale Begleitgremium soll unmittelbar nach Ende der Kommission seine Arbeit aufnehmen, "die vermittelnde und unabhängige Begleitung des Standortauswahlverfahrens. (...) Sechs Mitglieder, die je zur Hälfte von Bundesrat und Bundestag vorgeschlagen werden, sollen gesellschaftlich hohes Ansehen genießen; daneben sind zwei Bürger oder Bürgerinnen zu berufen, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt werden, und ein Vertreter oder eine Vertreterin der jungen Generation." [28]
Umstrukturierung: Die Betreiberaufgaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), die ASSE GmbH und die Betreibertätigkeiten der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern (DBE) werden in der zu 100% staatlichen, neu zu gründenden Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) mit Sitz in Peine, also bei der DBE, zusammengeführt. Die BGE wird in privater Rechtsform geführt. Ihre wesentliche Aufgabe ist der Bau, der Betrieb und die Stilllegung von Endlagern für radioaktive Abfallstoffe. Sie ist nicht direkt an die öffentliche Haushaltswirtschaft gebunden. Die staatlichen Regulierungs-, Genehmigungs- und Aufsichtsaufgaben im Bereich Sicherheit der Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle werden – soweit sie nicht von den Ländern wahrgenommen werden – beim Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) konzentriert. Das BfS wird künftig rein für den Bereich Strahlenschutz zuständig sein. [29]
Exportverbot: Die Kommission sprach sich für die gesetzliche Einführung eines generellen Exportverbots für hochradioaktive Abfälle aus; sie fordert die Bundesregierung auf, eine Neuregelung zu einem Exportverbot auch für bestrahlte Brennelemente aus Forschungsreaktoren zu erarbeiten, die zwingenden Gesichtspunkten der Non-Proliferation und der Ermöglichung von Spitzenforschung (insbesondere FRM II) Rechnung trägt. [30] Bisher hat die Bundesregierung diesen Beschluss der Kommission ignoriert und die Vorbereitung für einen Export der Jülicher Brennelemente in die USA nicht abgebrochen. [31]
„Endlagerung mit Reversibilität“ heißt die konzeptionelle Empfehlung der Kommission. Gemeint ist, dass die Abfälle während der Einlagerungsphase wieder herausgeholt werden können und dass sich nach Ende der Einlagerung eine zeitlich nicht näher definierte Überwachungsphase anschließt. Ziel jedoch bleibt die „wartungsfreie Endlagerung“, das heißt, der endgültige Verschluss des Lagers und der Abbau der übertägigen Anlagen. Danach soll höchstens noch eine Bergung möglich sein, unter der Voraussetzung dass der Standort des Endlagerbergwerks bekannt ist, dass die Dokumentation auffindbar und lesbar ist und dass die Endlagergebinde (Behälter) selbst in bergbarem Zustand sind, wobei dieser „bergbare Zustand“ nicht aktiv herbeigeführt wird. Für die Bergung müsste dann - ähnlich wie derzeit bei der ASSE II - ein eigenes, neues Bergwerk aufgefahren werden. [26]
Angleichung des Rechtsschutzes an das EU-Recht: Die Kommission stellt fest, dass der Rechtsschutz weder der UVP-Richtlinie noch der Aarhus-Konvention genügt und schlägt eine Korrektur vor. [26]
Beteiligung der Umweltverbände: Vor Einsetzung der Kommission gab es in und zwischen den Umweltverbänden und Anti-Atom-Initiativen eine bundesweite Debatte über die Beteiligung an der Kommission. Anstatt die Verbände und Initiativen vor Verabschiedung des Standortauswahlgesetzes in die Beratungen über den künftigen Umgang mit dem Atommüll einzubeziehen, sollten sie die vollendeten Tatsachen akzeptieren und zwei Plätze in einer 34köpfigen Kommission besetzen. Greenpeace, Robin Wood [32] und die Atommüllkonferenz [33] lehnten eine solche Beteiligung als Alibi ab. Die Beteiligung des BUND war in den eigenen Reihen umstritten. [34]
Kritik von Initiativen und Verbänden: Unter dem Titel "Außer Spesen nichts gewesen" formulierten eine Reihe von Verbänden und Initiativen ihre Kritik am Kommissionsbericht. Wichtigste Kritikpunkte: Keine Beendigung des Projekts Gorleben, keine Einbeziehung aller Arten radioaktiver Abfälle, keine Prüfung anderer Lagermöglichkeiten, keine Aufarbeitung der Fehler in Vergangenheit und Gegenwart, schwerwiegende Fehler des StandAG werden durch die Kommission nicht korrigiert, das vielbeschworene Verursacherprinzip wird ignoriert, der Beschluss zum Exportverbot für hochradioaktive Abfälle ist zahnlos, die Öffentlichkeitsbeteiligung geriet zur Farce. [35]
.ausgestrahlt, Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD und BI Umweltschutz Lüchow-Dannenberg veröffentlichten darüber hinaus einen Reader mit einer Sammlung kritischer Texte. Teil 1 [36], Teil 2 [37]
Sondervotum des BUND: Über die o.g. Kritikpunkte hinaus kritisiert der BUND u.a. die unzureichende Auseinandersetzung mit den Sicherheitsproblemen der Zwischenlager, die fehlende Festschreibung, dass alle potentiellen Wirtsgesteine auch untertägig untersucht werden müssen und fordert, in den Kriterien über den einschlusswirksamen Gebirgsbereich hinaus eine zweite, unabhängige und eigenständig wirksame geologische Barriere vorzuschreiben. [38]
Ablehnung durch die LINKE: Als einzige Fraktion im Bundestag kritisierte DIE LINKE Verlauf und Ergebnisse der Kommissionsberatungen und gab ein ausführliches Sondervotum ab. Sie kritisierte u.a. die Marginalisierung akuter Probleme, die mangelnde wissenschaftliche Seriosität in der Frage der Lagerung aller Arten radioaktiver Abfälle an einem Standort und die unsachlichen Reaktionen auf eine Infragestellung des Standortes Gorleben. [39]
Widerstand gegen Endlager in Bayern und Sachsen: Bayern und Sachsen kündigten Widerstand gegen ein Endlagerung in ihren Bundesländern an. [40]
[8] KIT: Prof. Dr. Armin Grunwald
[9] Kurzvita Dr. Ulrich Kleemann
[10] Kurzvita Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Kudla
[11] Kurvita Dipl.- Ing. Michael Sailer
[12] "Strahlenexperte warnt vor Mission Impossible in der Asse", spiegel online, 22.09.2012
[14] Kurzvita: Prof. Dr. Bruno Thomauske
[15] Kurzvita Klaus Brunsmeier
[16] Kurzvita Jörg Sommer
[17] Kurzvita Bischof Ralf Meister
[18] Kurzvita Prof. Dr. Georg Milbradt
[19] „Was Milbradt den Job kostete“, Spiegel online, 14.04.2008
[20] Kurzvita Dr. h.c. Bernhard Fischer
[21] Kurzvita Prof. Dr. Gerd Jäger
[22] Kurzvita Edeltraud Glänzer
[23] Kurzvita Erhard Ott
[25] Kommission Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe: Geschäftsordnung, Stand 08.09.2014
[33] Atommüllkonferenz: "Absage an Endlager-Kommission", 31.08.2013
[40] "Aber nicht bei uns!" Das Parlament Nr. 28-29, 11.07.2016